
Le Radeau de la Méduse, Théodore Géricault
1816 wurde das französische Kriegsschiff Méduse „zum Schutze des überseeischen Besitzes“ nach dem von Frankreich kolonisierten Westafrika (dem heutigen Senegal) entsendet. Das Schiff lief unterwegs auf Grund. Da für vierhundert Menschen an Bord nur sechs Boote vorhanden waren, wurde ein Floß aus den Masten und Rahen der Méduse gebaut, das hundert neunundvierzig Menschen aufnehmen musste, die anschließend dem Meer überlassen wurden. Es überlebten nur zehn von ihnen.
Mit Le Radeau de la Méduse führt Géricault den Betrachter*innen diesen Vorfall vor Augen, der das Leid und die Ungerechtigkeit der kolonialen Expansion sichtbar macht. Die Komposition rückt einen jungen schwarzen Mann in den Fokus, der einer der wenigen Überlebenden des Schiffbruchs war und der auf Géricaults Bild dem Rettungsschiff am Horizont entgegenblickt. Verblüffender Weise spiegelt der Bildaufbau von Gérciaults Komposition, das berühmte Revolutionsbild von Eugène Delacroix, auf dem die allegorische Figur der Freiheit das Volk auf die Barrikaden führt. Auf dem Floß der Medusa tritt kompositorisch der junger Mann an die Stelle der Freiheit.
Géricaults Floß der Medusa ruft in den heutigen Betrachter*innen unweigerlich Bilder von Menschen auf Schlauchboten wach, die jeder aus den Medien kennt. Die häufigsten Fluchtursachen – ökonomische, soziale und ökologische Krisen – sind Spätfolgen der kolonialen Expansion Europas im Frühkapitalismus und der daraus resultierenden, sich noch immer reproduzierenden globalen Ungleichverteilung von Reichtum. In meinem Videoessay geht es darum, den Reichtum Europas – zu dem auch seine Kunstschätze gehören – in Beziehung zu setzen, zu dem Leid, dass mit der Produktion dieses Reichtums zusammenhängt. Er verbindet Aufnahmen von Géricaults Bild während des laufendem Museumsbetriebs im Louvre mit Interviews, in denen Geflüchtete, die über den Seeweg nach Europa gekommen sind, ihre Situation und ihre Sicht auf das Bild schildern.
Statt also Medienbilder von Menschen in Schlauchboten zu zeigen, geht es darum die Blickrichtung zu verschieben und Europa und seine Kunstschätze aus der Perspektive der Geflüchteten zu zeigen. Dahinter steht auch eine Kritik der Medienbilder, die ihre Betrachter*innen nicht in die Lage versetzen sich mit den Geflüchteten zu solidarisieren, sondern deren kollektive Paralyse oder Handlungsunfähigkeit vielmehr zu verfestigen scheinen – als würden sich die Betrachter*innen beim der Blick auf das Bild, wie beim Anblick der Medusa, in Stein verwandeln.
